Im frühen 19. Jahrhundert konnte Johann Wolfgang von Goethe auf einen einzigartigen Lebenslauf zurückblicken. Nachdem er sich schon mit den Frühwerken Götz von Berlichingen und Werther einen Namen als Schriftsteller gemacht hatte, waren ihm immer weitere Erfolge gelungen. Seine literarische Weiterentwicklung war wirtschaftlich und gesellschaftlich abgesichert durch eine Stellung als Hofrat in Weimar. Dabei war die Schriftstellerei immer nur ein Teil von Goethes Aktivitäten. Als umfassend Interessierter und Gebildeter wurde er schnell zu einer Kapazität auf den Gebieten der Naturwissenschaften, Künste, Musik, Philosophie und Geschichte. Er beherrschte mehrere alte und moderne Sprachen, reiste viel und strebte, wie sein Protagonist Faust, nach einer umfassenden Durchdringung der Welt. Wie kein anderer war Goethe Leitfigur eines in der europäischen Kultur verwurzelten geistigen Deutschlands in einer Zeit, als es Deutschland als Staat noch nicht gab.
Goethe war eine Berühmtheit ersten Ranges, als er Mitte August 1814 in Mainz logierte und mit seinen Gastgebern einen Ausflug zum Rochusfest bei Bingen unternahm. Das feuchtfröhliche Volksfest wurde von einem Gewitter überrascht, sodass Goethes Gesellschaft durchnässt im Binger Hotel Zum weißen Ross Zuflucht suchte und dort warten musste, bis die Kleider wieder getrocknet waren. Das Zimmer, in dem Goethe bei diesem Besuch und im Folgejahr untergebracht war, erhielt unter dem späteren Besitzer des Hotels, Reifenstein, den Namen Goethezimmer. Es wurde durch die Ausstellung von Erstausgaben von Werken Goethes, Bildern und Gegenständen zu einem kleinen Goethemuseum umgestaltet. Seine Möbel wurden wie Berührungsreliquien verehrt. In den 1920er Jahren zog Reifenstein nach Diez und schenkte der Diezer Sammlung die Möbel des Goethezimmers.
Ein Brief eines unbekannten Absenders an Reifenstein aus dem Jahr 1909 erzählt die Begebenheit des Goethe-Besuchs auf dem Rochusfest.